Freitag, September 29, 2006

der sechste tag



zeitgenössische musik
und eurythmie
zu einer wandtafelzeichnung
von rudolf steiner

text /eurythmie
vera koppehel
komposition/klavier
jürgen schmitt
sprache/gesang
ingrun mandl


...so schlicht steht es im programm, aber das was geboten wurde verhält sich zur ankündigung ungefähr so wie die weltkugel zu einer erbse, der reihe nach:

den weg nach alfter, zur alanus-hochschule auf mich zu nehmen, hatte mich einige überwindung gekostet. glücklicherweise kam mir die freundliche weltenlenkung enorm entgegen und beseitigete jede unbequemlichkeit für mich, so dass ich jetzt euch berichten kann was ich erlebte.

ich habe inzwischen drei kategorien von eurythmischen darbietungen genossen. die erste sind die entzückenden ergebnisse von waldorfschülern, die sie während ihrer schulzeit erarbeitet und den staunenden eltern auf monatsfeiern zum beispiel eurythmisch präsentieren. dabei kann man vielleicht erkennen, wie großartig es ist, dass die kinder ein fach wie bewegungskunst haben und sehen wie nützlich ein sensibilisiertes körperbewusstsein für die haltung sein kann, die junge erwachsene in der welt einnehmen können.

die zweite kategorie sind jene wunderbaren abendveranstaltungen, die nach einem harten, von anthroposophischer geistesarbeit und anderen arbeiten geprägten alltag, zur erbauung werden. es sind die darbietungen von professionellen eurythmisten, wie dem goetheanum oder dem else-kling ensemble, deren interpretationen von mozart, schnittke oder pärt, ganz anders als im klassischen ballett oder musiktheater, eben jene verbindungen zwischen den kraftströmen von text, musik und der weltbewegung sichtbar zu machen vermögen. ihnen gelingt es, ihr publikum innerlich reich zu entlassen und aufgestellt den kommenden tag mit seinen aufgaben erwarten zu können.

die dritte kategorie eröffnete nun vera koppehel für mich. sie verwandelte in ihrem "der sechsten tag" eine eurythmiedarbietung in eine durch und durch zeitgenössische performance. "das 50 minütige programm bewegt die gedanken - das die evolution der erde im feuer, in der wärme begann und sich durch die prozesse von luft und wasser bis hin zur materie verdichtete. ... kosmische erinnerungen an das geheimniss der herkunft …" war im programm weiter zu lesen. ich habe mich gefragt wie sie das tanzen will?

ihr gelang es, indem sie in vollster gewissheit ihr selbst-sein in beziehung zu der quelle aus der sie schöpft setzte und zum ausdruck brachte. sie interpretierte nicht im üblichen sinne, sie sprach nicht einfach nach, was sie an der quelle, den nachlässen rudolf steiners fand, sondern sie gebar, ganz so wie mütter ein neues leben durch ihre eigenen körper hindurch lassen zur welt, die quelle ins leben hinein. die äussere künsterlische umsetzung dieses welten-entstehungsprozesses, die inspiriert wurde von den ga-bänden 132 und 122, fusste auf schnörkellosen und punktgenauen einsatz der verschiedenen bühnen- und ausdrucksmittel: der eurythmie, der musik, der sprache und dem licht. vera koppehel arbeitete eng mit dem komponisten jürgen schmitt zusammen, der nach ihren angaben die alten planeten musikalisch interpretierte. die komposition moderierte eigenständig den abend, hielt die einzelnen gedanken für den zuschauer zusammen, zeigte gedankenbewegungen auf, durch zuordnung, differenz und wiederholung einzelner musikalischer motive. auf der bühne geschah wahrscheinlich genausooft nichts wie etwas, das heisst es gab einen gleichgewichteten rhythmus zwischen bewegung und stillstand, sprache und stille, immanenz und transzendenz.

das programm war in drei einander umgreifender facetten geteilt. die erste bezieht sich auf eine wandtafel rudolf steiners vom 30.6.1924, auf der die planeten saturn, sonne, mond und erde von den entwicklungsstufen der schöpfung künden und trägt den titel "weltentag". die zweite, "weltennacht", ist wie ein zwischenspiel, der ort der eigentlichen transformation im "nichts" heisst bei vera "tao". der dritte teil "genesis" und bezieht sich auf das erste buch moses. hier verbindet vera koppehel den biblischen schöpfungsmythos mit den planetaren entwicklungsstufen aus dem ersten teil des abends, getragen von der komposition, den lichtstimmungen und der eurythmie.

mit emphatie vollzog ich die gewaltigen bögen nach, die vera in großer sanftheit an diesen abend auf meinen geistigen horizont warf. als sie uns, das publikum, mit dem letzten ereignis auf der bühne wieder voll und ganz auf die erde entlies -mit einem text von ihr selbst, der in worte fasst das schwer greifbare an diesem abend:

noch
ohne fuss
trat
ich den weg an

ins sichtbare

sterne wurden augen
die sonne mein herz
wärme schlug blut

aufrichtung
nach unten

ins ich.

vera koppehels "der sechste tag" ist eine meditation, ist künstlerischer ausdruck und eröffnung eines geistigen raumes, der mich für den abend gemeinsam mit anderen in die freiheit vom hin-und-her-geschubse, vom druck aller art, vom spielfeld des materiellen, führt. deswegen ist "der sechste tag" zeitgenössisch, weil dieses stück freilässt.

5 Comments:

Anonymous Anonym said...

mich hat diese aufführung sehr begeistert. das erste mal, daß mich bühneneurythmie so berührt hat. und zwar im herzen, nicht im verstand.

21:43  
Blogger Jens R. Prochnow said...

Wunderbarer Bericht! Herzlichen Dank!

12:03  
Anonymous Anonym said...

...aber das was geboten wurde verhält sich zur ankündigung ungefähr so wie eine erbse zur weltkugel...
Den Satz würde ich umstellen! ;-)

Ich habe das Programm im Februar gesehen (Rudolf Steiner Haus Berlin). Auch mir hat es sehr gut gefallen und ich hatte darüber sogar kurz berichtet: Der sechste Tag.

12:28  
Anonymous Anonym said...

lieber chrisoph,

na, herzlichen dank du hast natürlich recht.

beste grüße ruth

13:16  
Blogger stina frisell said...

lieber torben,

bin noch am verdauen am dran am sein.
geduld!!

bg stina

16:40  

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